Das Screening auf den Mendelschen Regeln folgende oder seltene Erbkrankheiten kann nur einen sehr geringen Teil einer individuellen Erkrankung erklären. Tatsächlich sind Mutationen in der Allgemeinbevölkerung extrem selten (BMC Med Genomics 2015; 8:37).

Damit möglichst viele Patienten von der Genommedizin profitieren (z.B. durch Massnahmen zur Risikoreduzierung bei Personen mit sehr hohem Risiko oder allgemeine Präventionsmassnahmen wie körperliche Aktivität und Ernährung sowie spezielle Überwachung von Komplikationen), wurden daher weitere Tools entwickelt. Das wichtigste Tool ist der Polygenic Risk Score oder PRS. Er beruht auf der Tatsache, dass Hunderte oder sogar Tausende von genetischen Varianten, die bei jedem Menschen vorhanden sind und SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms) genannt werden, einzeln einen sehr schwachen Einfluss auf eine bestimmte Krankheit ausüben. Wird dagegen rechnerisch eine gemeinsame Wirkung ermittelt, so ist diese genauso signifikant wie diejenige einer Mutation, während im Vergleich zu einer Mutation viel mehr Menschen betroffen sind (siehe Grafik).

Als Beispiel betrachten wir die klinische Anwendung des PRS bei koronarer Herzkrankheit (aus Nat Rev Genet 2018; 19:581-590).

Im Panel der Grafik links sind in Rot die klinischen Risikofaktoren und ihre Häufigkeit in der Bevölkerung dargestellt.
In der Mitte befindet sich der PRS in Blau, der das individuelle genetische Risiko einer Person definiert, die Krankheit zu entwickeln (ein hohes Risiko liegt zwischen dem 80. und 100. Risikoperzentil).
Rechts ist die praktische Anwendung des Konzepts illustriert. Sie besagt, dass das klinische Risiko und das durch den PRS ermittelte genetische Risiko in Kombination verwendet werden, um eine Risikoschwelle zu definieren, ab der eine therapeutische Betreuung notwendig und von Vorteil ist (z.B. medikamentöse Senkung des Cholesterins, therapeutische Senkung des Blutdrucks, Gewichtsabnahme, erhöhte körperliche Aktivität usw.). Beachten Sie, dass die Kombination der beiden Risiken es ermöglicht, spezifisch diejenigen Personen zu identifizieren, die einem klinischen Risiko ausgesetzt sind, gleichzeitig ein hohes genetisches Risiko aufweisen und am meisten von diesen Massnahmen profitieren.

Screening auf genetische Veranlagungen bei Erwachsenen